Was darf ein persönlicher Blog? Eigentlich alles oder? Eine Rebellion gegen das Zeitalter des Bullshits.
Charlie don’t surf and we think he shouldCharlie don’t surf and you know that it ain’t no goodCharlie don’t surf for his hamburger MommaCharlie’s gonna be a napalm star
Everybody wants to rule the worldMust be something we get from birthOne truth is we never learnSatellites will make space burn
We’ve been told to keep the strangers outWe don’t like them starting to hang aroundWe don’t like them all over townAcross the world we are going to blow them down
(Charlie Don’t Surf – The Clash)
Windige Zeiten
In letzter Zeit sind meine Artikel auf diesem Blog etwas rar geworden. Das hat mehrere Gründe. Zum einem bin ich vor einem Jahr zum ersten Mal Vater geworden, was neue zeitliche Herausforderungen mit sich bringt. Zum anderen haben sich bei mir, auch dadurch, etwas die Prioritäten geändert.
Wir leben in politisch windigen Zeiten: nicht endende Kriege in Nahost, weltweite Spannungen, Flüchtlingskrise, aufflammender Nationalismus, Terrorgefahr, Überwachungswahn. Dazu kommt eine soziale Schere, die immer weiter auseinandergeht.
Mich treibt das um.
Und da frage ich mich manchmal, ob ich mich einreihen will in die Reihe derjenigen, die einfach so tun, als wäre die Welt eine Tropenpalmeninsel, umgeben vom tiefblauen Ozean mit Traumwellen und stets grinsenden Delfinen.
Friede, Freude, Eierkuchen? Nicht.
Was ich mich frage ist, ob ich wir uns – zumindest hin und wieder – mehr bewusst sein sollten, was um uns herum außer Surfen noch so alles in der Welt passiert. Denn dies hat sehr wohl auch etwas mit unserem Lebensstil zu tun, den wir für so selbstverständlich halten.
Surfen als Flucht aus dem Alltag
Natürlich ist das Surfen, wie auch andere Freizeitaktivitäten, zunächst einmal eine Alltagsflucht, die wichtig ist, um sich von all den Schreckensmeldungen, die tagtäglich auf uns niederregnen, abzulenken. Zumal Politik und Medien darauf abzielen, uns mit Ängsten und Panikmache zu lenken und zu beeinflussen.
Umso wichtiger ist es, den Fernseher öfter mal aus und die Zeitung unangetastet zu lassen und die täglich servierten Bad News zu ignorieren.
Und einfach surfen zu gehen.
Nicht wissen ist nicht schlimm. Aber sich nicht interessieren…?
Aber manchmal bekomme ich halt trotzdem schlechte Laune, wenn ich den Eindruck bekomme, dass sich viele surfende oder auch nicht surfende Bekannte in meinem oder auch im jüngeren Alter kaum etwas über gesellschaftlich relevante Geschehnisse, geschweige denn Politik wissen.
Noch schlimmer ist: es scheint sie überhaupt nicht zu interessieren.
Ups, wirst Du jetzt vielleicht sagen, „was nimmt der sich denn jetzt raus?“
Ich bitte Dich, mich nicht falsch zu verstehen: es geht mir nicht darum, um auf bornierte Art anderen vorzuschreiben, was sie zu lassen oder zu tun haben. Moralistenstadel gibt’s heute mehr als genug.
Dennoch denke ich, geht es in einer Demokratie auch darum, Verantwortung zu übernehmen. Für sich. Aber auch für andere. Und es geht darum, auch mal das Maul aufzureißen.
Das ist es, was ich mit diesem Artikel beabsichtige. Etwas Verantwortung übernehmen. Das Maul aufreißen. Ich will etwas schreiben, das bleibt.
Es ist mein bescheidener Anstoß zur Rebellion:
GEGEN das überbordende Profane.
GEGEN die mediale Verblödung.
GEGEN das Prinzip ‚Brot und Spiele‚, das von Entscheidungen politischer Akteure ablenkt.
GEGEN den selbst auferlegten Maulkorb.
Es geht darum, vom eigenen Mitspracherecht Gebrauch zu machen.
Es ist ein Aufruf zum Hinsehen, zur Einmischung und zum Unbequem sein, anstatt angepasst.
Und es ist die Aufforderung sich zu fragen, auf wessen Kosten unser Lebensstil (auch unser Surf-Lebensstil) aufgebaut ist.
Es ist daher auch ein Plädoyer FÜR globale Chancengleichheit und für den bedingungslosen Frieden.
Ich will nicht stets so tun, als wäre die Welt eine Palmeninsel.
Ich will nicht aus Scheisse (Hoppla!) Rosinen machen.
Ich will nicht, dass das, was ich schreibe nur von dem ablenkt, was außerhalb des Line Ups passiert und damit zur Zerstreuung beitragen.
Surfer: wo ist die Rebellion?
Surfen war seit jeher eine Abkehr vom Mainstream. Bis es irgendwann selbst zum Mainstream wurde.
Surfer galten als Outlaws, Teil einer Subkultur, die sich gegen das Establishment auflehnten. Was ist davon übrig geblieben?
Lehnen wir uns auf, wenn es um Verfehlungen unserer Regierungen geht?
Am westlichen Wesen soll die Welt genesen?
Nehmen wir Indonesien, heute eines der beliebtesten Surferziele weltweit.
Die wenigsten Surfreisenden werden heutzutage Massakern an Kommunisten wissen, denen in Indonesien im Rahmen eines politischen Umsturzes/Regime Changes in den 60er Jahren Millionen von Menschen zum Opfer fielen (vgl. wikipedia.org/wiki/Massaker_in_Indonesien_1965). Es ist einer der größten Genozide des 20ten Jahrhunderts.
Die systematische „Reinigung“ vom Kommunismus, unterstützt und orchestriert von den USA und dem CIA, mit dem Ziel einer politischen und ideologischen Umwälzung, wurde im Kalten Krieg von westlichen Staaten überwiegend positiv zur Kenntnis genommen.
Bei geschätzten Opferzahlen zwischen 500.000 und 3 Millionen (die Zahlen schwanken je nach Historikerperspektive) kann man davon ausgehen, dass fast jede indonesische Familie Berührung mit diesem Trauma hatte und hat und Familienmitglieder auf Seiten der Opfer oder der Täter standen.
Moralische Verantwortung für das Wegsehen oder gar für die Unterstützung des Massakers wird bis heute von westlichen Staaten nicht übernommen.
Aber sollten nicht wenigstens wir als Surfreisende uns aus Respekt für diese Vergangenheit der von uns besuchten Länder zumindest interessieren?
As Yesterday so today
„Das ist doch alles vorbei und wir haben ja andere Zeiten als damals und da haben doch unsere Regierungen nichts mit zu tun“, meinst Du jetzt vielleicht. Sorry, da bin ich anderer Meinung.
Es ist das Gleiche in Grün.
Wo ist z.B. die Empörung über Militäreinsätze, die uns stets als „human“ verkauft werden, während Rüstungskonzerne an der Börse notiert sind?
Warum werden scheinbar willkürlich einige Staatspräsidenten von der Politik und von Medien zu „Machthabern“, „Schlächtern“ oder „Despoten“ erklärt und sanktioniert, während andererseits Waffenexporte und Geschäftsbeziehungen zu nicht weniger fragwürdigen Staaten weiter ausgebaut werden?
Ist es wirklich so viel anders als zu den Zeiten in Indonesien, wo offenbar der Zweck die Mittel heiligte? Sind nicht auch heute zahlreiche Opfer für fragwürdige Ziele zu beklagen?
Und was hat das jetzt mit Surfen zu tun?
Heute sind es weniger ideologische Ziele, sondern das Streben nach wirtschaftlicher Dominanz, die durch Militäreinsätze hergestellt wird.
Und auch heute haben die gewünschten geopolitischen Umwälzungen durch verdeckte oder offene westliche Einmischung in Länder natürlich Folgen auf die Bevölkerung und die zukünftige Entwicklung von deren Ländern.
Analog dafür steht das Surfen – und damit greife ich die obigen einleitenden Textzeilen der Musikband „THE CLASH“ auf – sinnbildlich für den Einfluss westlicher, kultureller Dominanz auf die Welt, die sich auf aggressive Weise in Form des amerikanischen und von den meisten westlichen Ländern mitgetragenen Imperialismus manifestiert.
Diese Parallelität von Imperialismus und Surfen skizziert Scott Laderman in seinem Buch „Empire in Waves„. Er beschreibt einen kaum bis nicht beleuchteten Teil einer Historie des Surfens mit seinen üblichen Klischees und Assoziationen von Bikinis und Boardshorts, die Hand in Hand gehen mit den weltweiten Auswirkungen von westlicher Einmischung und der vorangetriebenen Globalisierung.
Zusammenhänge werden in dem Buch sowohl anhand des Beispiels Indonesien beleuchtet, wie auch die Unterstützung der Apartheid in Südafrika durch westliche Staaten und die Auswirkungen der gezielten Destabilisierung sozialistischer lateinamerikanischer Länder wie El Salvador in der Reagan-Ära.
Im Film Apokalypse Now wird der Ausspruch „Charlie Don’t Surf“ („Charlie“ steht dabei für die abfällige Benennung des Vietkongs) benutzt, um die kulturelle Überlegenheit us-amerikanischer Lebensweise auszudrücken, die Krieg und Intervention rechtfertigt.
Die indonesische Insel Bali ist für mich ein Paradebeispiel dafür, wie westliche Dominanz und Globalisierung und damit auch der Massentourismus andere Länder und deren Kultur nach und nach zerstören.
War Bali bis in die 80er Jahre im wesentlichen noch unberührt, hat sich das Gesicht der Insel bis heute radikal geändert. Die wenigsten würden behaupten, dass dies zum besseren geschehen ist.
Alles so schön billig hier
Und trotzdem tragen wir die Entwicklung mit. Indem wir den Latte Macchiato mit Sojamilch auch in Canggu trinken wollen, wir uns über den Mc-Donalds-Bringdienst freuen und uns beschweren, dass das Homestay-Apartment 25 Euro kosten soll.
Globalisierung bedeutet nicht nur, dass Kulturen immer öfter zusammenwachsen, sondern auch, dass Kulturen ausgehölt, zerfasert und zerstört werden. Am Ende ist nichts mehr davon übrig von dem, was man einst bewundert hat.
Am Ende bleiben Shoppingmalls, die überall gleich aussehen, mit den immer gleiche RIP CURL Flag Ship Stores, sowie Mc Donalds, Pizza Hut und Star Bucks. Und auch im allerletzten Winkel dieser Erde wird Heineken getrunken. Aus der von Globalisierungsbefürwortern gepriesenen ‚Diversity‘ wird am Ende ‚Monoty‘.
Nails it: westlicher Imperialismus dargestellt vom Künstler Banksy
Und profitieren tun von der Globalisierung unterm Strich eben nicht alle. Zum Beispiel, wenn wir AirBnb von westlichen Investoren – auf verschacherten, ehemaligen Reisfeldern anmieten, natürlich mit Pool, obwohl 40% der Bevölkerung keinen Zugang zu frischem Trinkwasser hat.
Sollte dies uns interessieren? Ich denke: ja!
[qpp]
[…] in einem „Mindblowing-Artikel“, den er kurz nach der Wahl (D) verfasst hatte: Darf ein Surf-Blog politisch sein? Ich gehe einen Schritt weiter. Die Frage ist nicht, ob man es darf, sondern wann der Zeitpunkt […]